Offenes Tagebuch

creative writing

 

Adonis Analdi: Ein Freundschaftspiel in drei A(bstra)kten

I.

 Adonis Analdi. Der Name ist Programm. Manche legen Adonis Verhalten sehr eng aus, ohne dabei denselben engen Maßstab auch an sich anzulegen. Sie belächeln Adonis. Adonis lächelt zurück und zeichnet zugleich, unbewusst wie kreativ, abstrakte Masken. Er zeichnet sie abstrakt, damit die Konkreten den Schritt der Konkretisierung, den sie so lieben, nun auch an sich selbst vornehmen können und diesen Vorgang nicht Adonis anlasten. Denn das wäre töricht, damit würden sie sich selbst belächeln. Weiß doch jeder, dass Adonis der ist, der die Spiegel hält. Und damit ihren Wirkungskreis weitet. Aber die Konkreten sind nicht grundlos die Konkreten, sie wollen ständig konkretisieren und wenn es gerade nichts zu konkretisieren gibt, konkretisieren sie gar ohne Abstraktes. Dann wird es meist pathologisch. Für die Konkreten. Denn irgendwann muss jeder Spieler den Blick zur Anzeigetafel als Abrechnung mit der großen Mutter wagen. Manche sind dann verwundert, suchen Schuldige, sie sagen, klar wäre nur gewesen, dass beim Fussball der Ball ins Tor müsse, aber dass Eigentore für die anderen zählen, habe keiner gesagt. Nach-dem-Spiel ist eben doch nicht immer Vor-dem-Spiel.

II.

Das Freundschaftsspiel des FC King gegen die Freizeitkicker kam eher zufällig zustande. Benefiz. Adonis will Gutes, wollte gewinnen lassen. Er ist sich bewusst, dass er auch mal verlieren muss. Das ist wichtig für das Selbstvertrauen der anderen. Viele verfluchen ihn für diese Einstellung. Sie wollen unbedingt ständig oben stehen. Als Adonis dieser unbedingte Wille auffiel, erfreute er sich zunächst daran und dachte, na gut, vielleicht ein paar Spiele am Anfang der Saison. Spaß für alle. So setzte er die Spiele an, zeigte den Vielen die gegnerischen Tore, wie sie diese Tore treffen und wie sie durch die Tore Spiele gewinnen. Die Erfahrung zeigt aber, dass die Freizeitkicker als traditionell guter Sprinter, wenn sie länger oben stehen, übermütig werden, sich zurücklehnen und zugleich über Jahre hinweg mit immer demselben Spielzug, den sie inzwischen gelangweilt wie im Schlaf beherrschen, den Ball in die ihnen gezeigten Tore schießen. Das Spiel an sich kann sich dadurch nicht ausgeglichen spannend entwickeln, aber dafür interessieren sie sich nicht. Sie wissen tief in sich, dass sie das Spiel eigentlich ständig anpassen müssen, aber sie tun es nicht. Viel eher belächeln sie gemeinsam alles nicht in ihrer Mannschaft und damit in der Tabelle unter ihnen stehende herablassend. Noch ist Mephisto klein, kann sich nicht äußern, aber er wächst.

Viele der Vielen wähnen sich als unbesiegbar, ruhen sich aus auf der Krone, machen sich selbst als Ursache des aktuellen Spielerfolges aus. Irgendwann bilden sich dann innerhalb des Teams Gruppen, die nun auch Mitspieler herablassend belächeln. Mephisto wird zunehmend zynischer. Sie geben sich in ihren wahren Motiven den Aufnahmegeräten der öffentlichen Szenerie hingegen nicht zu erkennen, sondern sind kreativ, Meister der Täuschung, versuchen die Siege zu bejubeln, als würden sie nicht herablassend blicken. Doch Motive spiegeln sich in Ergebnis und Verhalten. Selbst wenn Verhalten täuschen kann, das Ergebnis ist eindeutig. Zweifel gehören zum Prozess, aber nicht zum Resultat. Die maßgebliche Frage bleibt: cui bono? Motiven ist vom Ergebnis her nachzuspüren, Verhalten unter jenem Scheinwerferlicht zu entschlüsseln. Einigen Freizeitkickern gelingen Täuschungen. Andere von ihnen werden in ihrer Naivität missbraucht. Am Ende geben sie alle gemeinsam voller verlustverängstigter Verblendung kein Spiel mehr verloren, vor allem nicht gegen die Mannschaften des unteren Drittels der Tabelle, denen kein Tor gezeigt wurde und die mit der Zeit immer intensiver darüber nachdenken, ein eigenes Spiel zu kreieren. Ein Spiel, in dem nun die Freizeitkicker, die lange weg geschaut hatten und kein Spiel mehr verloren gaben, wenig Chancen auf den Gewinn haben.

Dieses Phänomen liegt begründet in einem Minderwertigkeitskomplex, den die Freizeitkicker, die Sprinter, mit den eher auf Ausdauer trainierten Teams des unteren Drittels der Tabelle gemein haben und der sich insbesondere generationenübergreifend beobachten lässt. Positionen werden nach einer gewissen Zeit ruckartig, radikal nicht mehr gehalten. Erst wollen alle stürmen, alle auf einmal, dann wollen alle gleichzeitig verteidigen. Dabei weiß doch jeder, dass wenn alle für sich stürmen oder alle für sich verteidigen, das Team längst nicht mehr gemeinsam gewinnen kann. Der Knochen ist gebrochen. Das blinde Huhn, das mal ein Korn findet, bleibt Huhn. Aber der durch den Komplex manipulierte impulsive Spieltrieb der SG Freizeitkicker lässt sich scheinbar nicht (aus)halten. Von wem? Entdeckt wurde er von dem renommierten Psychoanalytiker Harry Hamster, der ihn an sich selbst diagnostizierte. Die Huhn-Metapher ist auch von ihm. Daher das „Hamstern“ als fachwissenschaftliche Bezeichnung des Phänomens. Der Mensch bleibt Tier, selbst wenn man ihn so nennt.

Sofern sich eine solch phänomenale Spielentwicklung abzeichnet, vernimmt der FC King sie in aller Regel frühzeitig, in der felsigen Spa-Grotte des Stadions sitzend, die Spiele der Freizeitkicker vor sich in ruhiger Gelassenheit anschauend, seine Muskeln entspannend. Seine Rolle ist es, nun mit einem scheinbar explosiven, aber gezielt walzenartigen Vorstoß, der ihm weder Spaß bereitet noch für ihn anstrengend ist, die Angestammten Abstände Anzudeuten. Like a Lion.

Danach werden die Spiele abgepfiffen, alle gucken auf die Anzeigetafel und die nächsten Spiele werden angesetzt. So entsteht aus vielen Spielen mit vielen Positionen ein kollektives Sportfest, das wachsend Abwechslung bietet. Auch Adonis Analdi. Das Benefizium ist Teil des Sportfestes.

III.

Aber beginnen wir doch vorne. Adonis ist einer der besten Spieler beim FC King. Das wird nicht ernsthaft zu bestreiten sein. Er ist der Spielmacher der Spielmacher und netzt ein wie ein Zehner. Deswegen hängt die gute Fee ihm das Trikot mit der Zehn anstandslos an den Haken. Adonis trägt es gerne, er fühlt sich wohl mit der Zehn. Andere nehmen lieber die Drei, sie sagen, die Zehn übe zu viel Druck aus. Nicht so Adonis, bei ihm spürt die Zehn den Druck. Wie immer vor Spielen, begibt er sich in die prall gefüllten Kurven. Was für ein Gefühl, Adonis ist wie elektrisiert. Dann wird das Spiel angepfiffen. Seine stürmische Art, dieser Drang zum Tor, unverwechselbar, auch heute wird er wieder ins Schwarze treffen. Seine Quote ist überwältigend. Er trifft, wie er will. Als Adonis den unbedingten Willen zu Hamstern bei der Spielgemeinschaft diagnostizierte, erfreute er sich zunächst daran und ließ die Freizeitkicker in Führung gehen, um seinen Eindruck über ihre Motive mit Hilfe dieses Ergebnisses zu validieren und weitere Verhaltenskuriositäten wie innovative Täuschungsstrategien zu entschlüsseln.

Als dies geschehen war, netzte er zweimal nacheinander ein und sagte, puh, Glück gehabt. Die Kicker fluchten, so nah an der Meisterschaft. Aber das Spiel war abgepfiffen. Sie unterstellten Adonis Hochmut und Außergewöhnlichkeiten jeder Art, nur um über die eigenen Motive zu täuschen, ihr Verhalten zu verschleiern und sofort den nächsten Versuch zu starten, ständig oben zu stehen. Dabei war, ist und bleibt Adonis der Gesunde, Anständige und immer auch der Bodenständige. Dies zeigt sich im Ergebnis. Durch Orientierungssinn und Strukturverständnis kann er die Vertikalspannung seiner Zeit aushalten, sie in voller Blüte in sich penetrieren und durch die breite Mitte in genannter Weise zuschlagen, wenn zur Spielöffnung erforderlich - minimal force.

Nach dem Abpfiff läuft Adonis traditionell noch ausgiebig durch die Kurven, nun aber gemütlich, er bringt die Zuschauer zu letzter Ekstase. Er fesselt sie. Ein Spiel dauert 90 Minuten, für Adonis keine Floskel. Es steht in seinen Augen. Sie strahlen diese durch Erfahrung gewachsene Stärke aus. Sie bezeugen, dass er schon viele Verlängerungen gespielt hat. In diesen Augen spiegelt sich Treffsicherheit, er stürmt stoisch, schießt aus allen Lagen, trifft unten wie oben. Täglich ereilen diese Augen aufreizende Abwerbeversuche. Doch Adonis bleibt sich treu.

In der Kabine wird Adonis gefragt, sag, wie heißt dieser Giftzwerg noch? Adonis ist schlecht mit Namen, es sind zu viele, er hat den Namen vergessen, weiß aber grob, wer gemeint ist. Ach der Giftzwerg. Der gibt sich selten ehrlich zu erkennen, grätscht gerne konkret von hinten zwischen die Beine. Ist er ein er, ein es oder eine sie? Das interessiert Adonis nicht. Da spricht Harry Hamster in die Runde, es könnte ein selten widerspenstiger, nach Außen gewendeter Fall des Animus sein, dem kommst du nur mit der Peitsche bei, das wusste schon die alte Frau, die Nietzsches Zarathustra traf.